Deutscher Buchpreis 2017: Ein Abend mit den Autoren der Shortlist

Über Europa und das Buch

25. September 2017
Redaktion Börsenblatt
Zum zehnten Mal gastierten am Samstagabend Autoren der Shortlist für den Deutschen Buchpreis im Literaturhaus Frankfurt. Anwesend waren: Franzobel, Thomas Lehr, Robert Menasse, Marion Poschmann und Sasha Marianna Salzmann; Gerhard Falkner konnte nicht teilnehmen. Diskutiert wurde über das Buch als Medium und über ein instabiles Europa.

Wenn zum Shortlist-Abend ins Frankfurter Literaturhaus eingeladen wird, dann ist der Lesesaal bis auf den letzten Platz besetzt. So auch am Samstagabend: Rund 200 Gäste nahmen an der zehnten Auflage der Autoren-Vorstellungsrunde anlässlich der Vergabe des Deutschen Buchpreises (9. Oktober) teil. Darunter Vertreter aus dem Literaturbetrieb und passionierte Leser. Veranstaltet wurde der Abend vom Kulturamt Frankfurt und dem Literaturhaus in Kooperation mit dem Börsenverein. Medienpartner war hr2-Kultur. Fünf der sechs nominierten Autoren stellten sich vor. Der deutsche Lyriker, Dramatiker, Essayist und Übersetzer Gerhard Falkner konnte nicht anwesend sein. Er steht mit seinem Roman „Romeo oder Julia“ (Berlin Verlag) auf der Liste der Finalisten.

Das Anliegen der Veranstalter sei, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Vielfalt und Qualität deutschsprachiger Literatur zu lenken, betonte Alexander Skipis (Hauptgeschäftsführer Börsenverein) in seinem Grußwort. Zu diesem Zweck wurde jedem der anwesenden Autoren eine halbe Stunde Zeit eingeräumt. Im Gespräch mit einem der drei Moderatoren und während einer kurzen Lesung hatten die Finalisten die Möglichkeit, das eigene Werk vorzustellen. Es wurde zudem über das Buch als Medium debattiert. 

So war ein Thema des Abends der kontrovers diskutierte – zuletzt von Sandra Kegel in der FAZ prophezeite – „Untergang des Buches“. Ina Hartwig (Kulturdezernentin Frankfurt) sagte in ihrem Grußwort: „Die Krise des Buches wurde immer schon ausgerufen.“ Für sie bestehe kein konkreter Anlass zur Sorge. „Menschen suchen die Introspektion – und die kann keine andere Kunstform als der Roman leisten.“ Gleichwohl räumte sie ein: „Wir haben heute einfach weniger Zeit zum Lesen.“ Skipis verweist auf die dennoch hohe Nachfrage: „Der deutsche Buchmarkt ist der zweitgrößte Buchmarkt der Welt. Wir haben die Digitalisierung bislang gut gemeistert und den Umsatz sogar gesteigert.“ Das Buch sei seit jeher fest in der Gesellschaft verankert. Es erfülle ein menschliches Bedürfnis: „Wir wollen erfahren, was die Anderen bewegt.“

Europa bewegt

Was die diesjährigen Kandidaten für den Deutschen Buchpreis umtreibt, konnte das Publikum am Samstagabend im Literaturhaus live miterleben. Die fünf anwesenden Autoren stehen für unterschiedliche Genres, Stoffe und Stile. Gleichzeitig gibt es eine wichtige Parallele zwischen den nominierten Büchern. So sei den Titeln laut Jury gemein, dass sie die Idee von Europa und die Krise der EU thematisieren. Damit einhergehend stellen sie alle die Frage danach, wer „wir“ sind und wer „wir“ sein wollen.

So rekuriert der österreischische Autor Franzobel in seinem historischen Roman „Das Floß der Medusa“ (Paul Zsolnay) unterschwellig auf die Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer. Zugleich arbeitet er einen historischen Stoff auf – inspiriert von dem Gemälde des Romantikers Théodore Géricault. „Bekannt war mir das Bild aus einem Asterix-Comic und von einem Plattencover der Pogues“, erzählte er Moderatorin Sandra Kegel (FAZ) im Gespräch. „Bei meinen Recherchen stellte ich fest, wie aktuell der Stoff ist.“ Das Gemälde nimmt Bezug auf einen Augenzeugenbericht über das historische Schiffsunglück im Juli 1816 – der Untergang der Fregatte Medusa. Die 15 Überlebenden fand man auf einem Floß vor der Westküste Afrikas. „Es findet aus heutiger Sicht ein Rollentausch statt: Hier sind die Europäer auf die Hilfe der Afrikaner angewiesen“, stellte Kegel fest. Fanzobel ergänzte mit sarkastischem Unterton: „Und diese Europäer werden bereits nach wenigen Tagen auf See zu Kannibalen.“ Drei Jahre lang arbeitete der Autor, der bereits 2005 auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand, an seinem Roman.

Wiederholungstäterin ist auch Marion Poschmann: Sie war ebenfalls 2005 und 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Im Gespräch mit Alf Mentzer (hr2-Kultur) erzählt sie von ihrer Faszination für Japan, die Gartenkunst und die Kontraste des Landes (alte Traditionen versus hochtechnisierte Gesellschaft). In „Die Kieferninseln“ (Suhrkamp) schickt sie einen ihrer beiden Protagonisten nach Japan. Nachdem Gilbert im Traum von seiner Frau betrogen wurde, verlässt er fluchtartig die gemeinsame Wohnung und nimmt den nächsten Flug nach Tokio. Dort lernt er den Studenten Yosa Tamagotschi kennen. Beide begeben sich auf Pilgerschaft: Der Deutsche auf den Fußspuren eines Dichters, der bereits im 17. Jahrhundert auf den Spuren eines Dichters aus dem 12. Jahrhundert durch das Land gezogen war; der Japaner (mit einem Selbstmordhandbuch im Gepäck) auf der Suche nach dem schönsten Ort für seinen Freitod. „Beides ist charakteristisch für Japan. Dichterische Pilgerschaften und eine hohe Selbstmordrate gehören dort zum Alltag“, sagt Poschmann im Interview mit Mentzer.

Franzobel und Poschmann zeigten sich in Plauderlaune. Nicht so der Österreicher Robert Menasse – zumindest anfänglich nicht. Als Moderator Gert Scobel (3sat) ihn fragte, ob er eher Tee- oder Kaffeetrinker sei, antwortete er: „Erstmal freue ich mich auf eine hoffentlich baldige Zigarettenpause.“ Scobels zweite Frage über die Schwierigkeit, einen Prolog zu verfassen, wies er ab und las stattdessen direkt den Anfang seines Europaromans „Die Hauptstadt“ (Suhrkamp) vor: Ein Hausschwein wetzt durch die Brüsseler Innenstadt. Jede Person, die es passiert, ist zugleich eine zentrale Figur des Romans, die auf diesem Wege vorgestellt wird. „Das Schwein ist meine Universalmetapher“, erklärte der Autor später am Abend. „Vom Glücksschwein bis zum Drecksschwein – es gibt nichts Menschliches, wozu es nicht auch ein schweinisches Pendant gibt.“ Aber es gehe ja nicht nur ums Schwein, wendete Scobel ein. Natürlich nicht, es gehe um Europa und die EU-Kommission in Brüssel, die einen schlechten Ruf genießt und diesen mit einem Festakt zum 60-jährigen Bestehen der EU aufbessern möchte. „So einen Roman gab es bisher nicht. Deshalb habe ich ihn geschrieben“, sagte Menasse fast etwas überheblich, gebührte ihm doch der größte Applaus des Abends. Erst als Scobel ihn mit Musil oder Mann verglich, zeigte er Bescheidenheit. In diese Fußstapfen wolle er ja gar nicht treten.

Bücher sind Heimat

Sasha Marianna Salzmann ist die dritte Finalistin aus dem Hause Suhrkamp, womit der Verlag als Gewinner des Abends hervorgeht. „Außer sich“ ist Ihr Debütroman. Ich sollte also sagen: Willkommen in der Literaturszene“, begrüßte Sandra Kegel die Autorin auf der Bühne. Doch schnell stellte sich heraus, dass Salzmann gar nicht so unerfahren ist. Vor ihrem Roman, der die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie erzählt, die vom Moskau der postsowjetischen Jahre über die westdeutsche Provinz bis ins heutige Istanbul emigriert, hat die 32-Jährige bereits für diverse Theaterbühnen geschrieben und eine Schreibwerkstatt geleitet. Entsprechend selbstbewusst plauderte sie über ihr Leben – ihre Leidenschaft für Sprachen und Literatur. Auf den Vergleich zum Schreiben am Theater angesprochen, sagte Salzmann: „Theaterstücke schreibt man im Gehen, Romane im Sitzen.“ Ihr sei tendenziell das Gehen lieber, Prosa wollte sie nie schreiben. „Aber dann ist es passiert – und ich wusste die Einsamkeit dieses Schreibens zu schätzen.“ Da ihr aktueller Roman auch eine Suche nach Heimat behandelt, fragte Kegel, wo sich die Autorin zu Hause fühle. „Ich weiß, es ist kitschig, das in einem Literaturhaus zu sagen – aber meine Heimat sind Bücher.“

Auch Thomas Lehr stand diverse Male auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Er galt als das literarische Schwergewicht des Abends. „Wer Lehr liest, der sollte Zubehör mitbringen – Kenntnisse in Philosophie, Quantenmechanik oder zumindest der Internetrecherche sollten Voraussetzung sein“, sagte Alf Mentzer einleitend. Der Moderator verglich das Lesen des Romans „Schlafende Sonne“ (Hanser) mit dem Bergsteigen. Lehr lachte: „Na, dann nehmen Sie sich vor den beiden Folgebänden in acht.“ Eine Trilogie habe es werden müssen, da er ein Buch schreiben wollte, das alle Themengebiete streift, die ihn interessieren. Eine Herausforderung. „Es gab zwei Möglichkeiten: Aufzugeben oder anzufangen. Ich habe mich für das Anfangen entschieden“, sagte der Autor. Im ersten Teil der Reihe verhandelt er das 20. Jahrhundert an nur einem Tag. Nicht etwa chronolgisch auf einer Zeitachse, sondern spiralförmig, sodass sich plötzlich Jahrzehnte gegenüber stehen, die viel Zeit trennt. „Ein komplexes Buch“, so Mentzer abermals. Lehr kontert: „Wer zur Erholung gerne Strandurlaub macht, der wird an meinem Buch keine Freude haben. Wer sich jedoch zur Entspannung den Rucksack aufschnallt und zwei Wochen lang durch die Alpen wandert, dem sei die Lektüre wärmstens empfohlen.“

Wer bekommt ihn?

Das entscheidet sich am 9. Oktober bei der offiziellen Preisverleihung im Kaisersaal des Römers. Dotiert ist der Deutsche Buchpreis mit 25.000 Euro. Die fünf übrigen Finalisten erhalten je 2.500 Euro. Wer die Vorstellungsrunde der Autoren nacherleben möchte: Ausgestrahlt wird diese vom 2. bis 7. Oktober jeweils um 9.30 Uhr und um 15 Uhr auf hr2-Kultur.